Würfel und Sanduhr

Droht bei den Mieten jetzt eine Prozesslawine?

von Robert Heimhuber
06.04.2020

Bundestag und Bundesrat haben ein Gesetz beschlossen, das Mietern helfen soll. Demnach darf ihnen nicht gekündigt werden, wenn sie bis Ende Juni wegen der Corona-Krise in Zahlungsschwierigkeiten geraten.

Damit betritt die Bundesrepublik juristisches Neuland.

Ulf Börstinghaus, der Ehrenvorsitzende des Deutschen Mietgerichtstages, erklärt im Gespräch mit n-tv.de die komplizierte Rechtslage. Er rät eindringlich zu Kompromissen anstatt vor Gericht zu streiten.

Was halten Sie generell von dem Gesetz?

Ulf Börstinghaus: Sein Ziel ist ein gutes. Man wollte, dass den Bürgern Wohnungen nicht gekündigt werden können, wenn sie bis zu drei Monate keine Miete zahlen. Sonst kann der Mieter ja nicht nur auf Zahlung verklagt werden, sondern ihm kann bei Rückständen auch gekündigt werden. Diese zweite Rechtsfolge wollte der Gesetzgeber zeitweise aussetzen. Dabei ging es vor allem um Wohnungen und kleine Gewerbetreibende. Ich bin sicher, große Ladenketten hatte keiner auf dem Schirm.

Das Gesetz hat also Lücken?

Ich denke schon. Die Politik musste aufgrund der Fülle der Probleme schnell handeln. Das sollte man ihr nicht vorwerfen, es ist eine Ausnahmesituation, wie sie die Bundesrepublik noch nie erlebt hat. Schnelligkeit war ein Gebot der Stunde. Der Gesetzestext differenziert nicht zwischen den verschiedenen Mietern. Er nimmt keine Rücksicht auf die konkrete Leistungsfähigkeit. Es genügt, dass die Zahlungseinstellung auf der Pandemie beruht, was sie jetzt immer tut.

Das gilt dann also für alle?

Aus meiner Sicht: ja. Denn wo will man bei dem Wortlaut eine Grenze ziehen? Wenn einer zehn Filialen hat, ist er dabei, wenn einer elf hat, fällt er durch das Raster? Rechtlich kann man da keine Unterschiede machen, das Gesetz gilt für alle. Man darf aber nicht vergessen, dass die Miete weiter geschuldet wird. Hinzu kommen Zinsen – und wenn er verklagt wird, auch Prozesskosten. Es ist also ein teurer “Kredit”, den er vom Vermieter erhält. Dafür hat er aber einen Bestandsschutz.

In dem Gesetz ist allerdings im Zusammenhang mit dem Moratorium von “Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen” die Rede.

In dem fraglichen Paragrafen steht ausdrücklich, dass die Vorschrift nicht für Mietverhältnisse gilt. Aber abgesehen von all dem soeben Genannten ist die spannende juristische Frage eine ganz andere.

Welche?

Es gibt allgemeine Regelungen, die bei der Beurteilung der Mietzahlungsfrage eine wichtige Rolle spielen. So stellt sich die Frage, ob die Miete nicht vielleicht gemindert ist oder ob die Geschäftsgrundlage des Vertrages entfallen ist. Das wird zu klären sein.

Auch das müssen Sie bitte erklären.

Im allgemeinen Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs gibt es die sogenannte große Geschäftsgrundlage, die sich auf entscheidende Veränderungen der politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Rahmenbedingungen bezieht. Ich nenne hier einmal als Beispiele Krieg, Seuchen und ähnliche Ereignisse epochalen Ausmaßes. Das sind Umstände, die einen Unternehmer daran hindern, wie bisher sein Geld zu verdienen. Exakt diese Situation haben wir gerade. Entscheidend wird sein, wie lange der Zustand andauert und wo die Gerichte die zeitliche Grenze ziehen werden.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Wenn ein Ladenbetreiber ein Vierteljahr oder länger keinen Umsatz hat und in seiner Existenz bedroht ist, dann ist damit die Geschäftsgrundlage des Vertrages tangiert. Anders ist es, wenn das Risiko allein in die Sphäre einer Partei fällt: zum Beispiel, dass ein Vater einen Raum für die Hochzeit seiner Tochter mietet, die dann aber ausfällt. Dann war die Hochzeit zwar die Geschäftsgrundlage des Vertrages, aber das Risiko, dass die Tochter wirklich heiratet, trägt der Vater allein und nicht der Wirt.

Wurde die große Geschäftsgrundlage in Urteilen schon angewandt?

Nicht zu Zeiten der Bundesrepublik. Im Ersten Weltkrieg wurde darüber gestritten, ob Mieter von Tanzlokalen weiter Miete bezahlen müssen, obwohl Veranstaltungen verboten worden waren.

Und was heißt das heute konkret im Fall der Mieten?

Nimmt man an, dass die Geschäftsgrundlage durch die Pandemie betroffen ist, müsste der Vertrag angepasst oder aufgehoben werden. Es müsste das Risiko neu verteilt werden. Die Folge wäre, der Mieter müsste keine oder nur eine niedrigere Miete – sagen wir für Lagerräume – überweisen. Vor einigen Jahren hatten wir einen ungefähr vergleichbaren Fall. Es ging um die Durchsetzung des Nichtraucherschutzgesetzes in Gaststätten.

Wo sehen Sie den Zusammenhang zu heute?

Rauchen war erst nur in bestimmten Teilen eines Lokals erlaubt, dann gar nicht mehr. Mieter von Gaststätten verlangten Mietminderungen oder eine Erstattung der Kosten für Umbauten. Damals urteilte der Bundesgerichtshof, das sei alleiniges Risiko des Mieters oder Pächters, wenn sich Geschäftsregeln änderten. Ob das auf eine Pandemie übertragbar ist, wage ich allerdings trotz der ähnlichen Fragestellung zu bezweifeln.

Welche Rolle spielt das Gewährleistungsrecht?

Der Vermieter schuldet, wie es im Gesetz heißt, den “vertragsgemäßen Gebrauch”. Dazu zählt zunächst die Freiheit von Baumängeln, etwa der Heizungsausfall. Insbesondere bei der Gewerberaummiete spielen aber auch Umwelt- und Umfeldmängel eine Rolle, zum Beispiel wenn Bauarbeiten vor dem Geschäft ein Betreten desselben unmöglich machen. Auch dafür muss der Vermieter einstehen. Deshalb könnten die Corona-Ereignisse auch als Mietmängel gewertet werden. Dann würde sich die Miete zeitweise mindern. Ob die aktuellen Gesetzesänderungen als Spezialgesetze diese allgemeinen Regeln aushebeln, wird zu entscheiden sein.

Das sieht nach einer Prozesslawine aus?

Da bin ich nicht sicher. Theoretisch ist eine Prozessflut bei den Zahlungsklagen möglich. Es wird sicher Fälle geben, wo der eine oder andere mit dem Kopf durch die Wand will. Jeder sollte einsehen, dass wir alle Opfer in dieser Krise sind. Deshalb setze ich auf Vernunft und Kompromisse bei den Mietvertragsparteien. Vertrag kommt von vertragen – und nur sprechenden Menschen kann geholfen werden.

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