Bild vom Münchner Fernsehturm

Acht Thesen, wie sich das Stadtleben in der Pandemie verändern wird

von Robert Heimhuber
01.05.2020

faz-net informiert: Wie sich unsere Vorstellungen vom Wohnen durch Corona wandeln werden.

Ziehen jetzt wieder mehr Menschen raus aus der Stadt? Wird es mehr Platz für Radfahrer geben? Ist der offene Grundriss krisentauglich und die Bebauung von Grünflächen alternativlos?

Smart City
Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet jene Länder als positive Beispiele im Kampf gegen die Corona-Pandemie gelten, deren Städte besonders stark digital durchdrungen sind. Südkorea oder Singapur nutzen die Smart-City-Technologien, um die Kontakte von Infizierten nachzuverfolgen. Außerdem kommen Sensoren und Kameras zum Einsatz, um zu überprüfen, ob die Bevölkerung sich an die verordnete soziale Distanz hält. Die positiven Aspekte liegen auf der Hand: Diese Staaten haben es geschafft, die Pandemie dank der digitalen Technologien in Schach zu halten.

Für die Bewohner hat es den Vorteil, dass nicht ein ganzes Land heruntergefahren werden muss. Stattdessen können viel gezielter einzelne Kommunen, Städte oder gar Quartiere oder Straßen isoliert werden, während es anderswo weitgehend normal weitergeht. Doch der Preis ist hoch. Praktisch durch die Hintertür und ohne breite öffentliche Diskussion werden Überwachungstechnologien salonfähig, die nicht nur genutzt werden können, um die Ausbreitung eines Virus zu verhindern, sondern zum Beispiel auch, um Demonstrationen zu unterbinden. Kritiker der massenhaften Datenerhebung in der Smart City und des Trackings ihrer Bürger werden in Zukunft nicht mehr so leicht Gehör finden.

Zurück zur Kleinteiligkeit
Wo das eigene Zuhause mit einem Mal Hauptaufenthaltsort ist, an dem sich mehrere Bewohner tummeln, wächst der Wunsch nach Rückzugsmöglichkeiten.

Viele erleben jetzt nicht nur täglich, sondern über den ganzen Tag hinweg: Es ist ein Vorteil, Türen hinter sich schließen zu können, im Arbeits- wie im Kinderzimmer, in der Küche wie im Wohnzimmer. 

Sharing als Schwäche
Wie der offene Grundriss bringt Corona auch jene Konzepte unter Rechtfertigungsdruck, die auf das Teilen von Ressourcen setzen. Die Krise kratzt an der Idee, Flächen gemeinschaftlich zu nutzen, und damit an einer spezifisch städtischen Art zu leben. In Zeiten der Kontaktsperre sind eindeutig all jene im Vorteil, die drinnen und draußen möglichst viel eigenen Platz besitzen. Denn der Stadtgarten ist dicht. Hält Social Distancing länger an, versetzt das der Sharing-Bewegung nachhaltig einen Dämpfer.

Kümmerer oder Spitzel
Den meisten Menschen war es auch bisher nicht egal, wen sie zum Nachbarn haben. Doch in der vergangenen Zeit hat Nachbarschaft für viele einen neuen Stellenwert bekommen. Im Guten wie im Schlechten. Manch eine(r) erlebt im Moment bisher freundliche und scheinbar entspannte Zeitgenossen von einer anderen Seite. Aus ängstlicher oder herrischer Kontrollsucht wird genau verfolgt, wer die gerade geltenden Verordnungen womöglich nicht einhält. Mit entsprechenden Vorwürfen wird bei vermeintlichem Fehlverhalten nicht gegeizt – und durchaus auch nach der Polizei gerufen. Selbst diese vermutet, dass die Corona-Krise nicht selten herhalten muss, um alte Nachbarschaftsrechnungen zu begleichen. Wenn der pandemische Spuk vorüber ist, wird manch zwischenmenschlicher Graben tiefer sein.

Andere dagegen lernen Menschen aus dem Umfeld nicht nur von deren besten Seite, sondern jetzt überhaupt erst kennen. Einander bis eben Fremde fragen mal vorsichtig nach, ob die andere Seite vielleicht Hilfe braucht. Die Einkaufshilfe ist mittlerweile fast schon legendär. Plötzlich spricht man miteinander – selbstverständlich mit Abstand von Treppenabsatz zu Treppenabsatz, oder von Balkon zu Balkon. Und auch, wenn daraus nicht gleich Freundschaften fürs Leben werden: Sich von angenehmen Zeitgenossen umgeben zu wissen, sorgt auch nach Corona für ein gutes Gefühl.

Raus aufs Land
Wir kennen es aus der Geschichte: In Krisenzeiten flüchten die Städter aufs Land, entweder physisch oder in der Phantasie – die aktuell stark steigende Auflage der Zeitschrift „Landlust“ zeugt davon. Nun zieht nicht jeder, der von einem Bauerngarten träumt, aus dem Münchner Stadtzentrum in ein Alpendorf. Aber mit großer Wahrscheinlichkeit wird sich ein Trend verstärken, der schon vor einigen Jahren begonnen hat.

Bisher haben es viele Eltern zähneknirschend in Kauf genommen, im Wohnzimmer schlafen zu müssen, und dafür die Vorzüge der Stadt mit ihren kurzen Wegen, der guten Kinderbetreuung und dem großen Freizeitangebot genossen. Doch wer zu Hause festsitzt, hat viel von einem zusätzlichen Zimmer – für Kinder, Arbeit oder Krimskrams – und wenig von der Laufdistanz zum Theater, das ohnehin bis auf weiteres geschlossen ist.

Und den eigenen Garten vermissen inzwischen nicht nur Hobbybotaniker, sondern auch Eltern, die den Spielplatz bisher für eine gute Alternative hielten. Diese Erfahrung wird bleiben. Gerade Familien, die am Stadtleben hingen, werden sich in die Vororte aufmachen – und den Nachteil des Pendelns dadurch ausgleichen, dass sie dem Homeoffice auch künftig treu bleiben.

Mehr Raum für Radler
Um die Herrschaft im öffentlichen Raum wird seit geraumer Zeit erbittert gestritten, vor allem um die angestammte Vorherrschaft der Autofahrer. Die kommunalen Mobilitätskonzepte haben es mit dieser Gruppe lange ziemlich gut gemeint, war doch die autogerechte Stadt das Leitbild der Stadtplaner in der Nachkriegsmoderne. Dieses Ideal hat zwar schon länger ausgedient, die in Asphalt gegossenen Folgen nicht. Weil Fußgänger und Radfahrer in den veralteten Konzepten Randfiguren waren, drängeln sie sich heute auf schmalen Streifen, auf denen im Zweifelsfall immer voluminöser werdende Blechkarossen parken. Nun hat die Welt Pandemie, und Verkehrsteilnehmer in Deutschland machen auf ihren Wegen durch die Stadt eine ungewöhnliche Erfahrung: Der Autoverkehr hat deutlich nachgelassen, und damit ist für die Stadtbewohner eine schon lange nicht mehr bekannte Ruhe eingekehrt.

Man kann sich sicher sein, dass die Forderung nach mehr Platz für Fußgänger und Radfahrer in der Post-Corona-Zeit noch lauter schallen wird – und dann nicht mehr nur aus dem Mund Kampagnen erprobter Velo-Aktivisten. Denen hat die Pandemie noch ein neues Argument geliefert: Abstand halten ist auf den schmalen Radwegen bei Normalbetrieb nicht möglich

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