Haus als Beispiel einer Bausünde

Die Bausünde - Architektonische Unfälle

von Robert Heimhuber
18.12.2019

Klobige Betonmonster, Fassaden ohne Fenster, Säulen an den abwegigsten Stellen – hässlich, oder?

Nein, außerordentlich faszinierend, findet Turit Fröbe. Im Gespräch mit n-tv.de erklärt die Architekturhistorikerin, wann eine Bausünde “gut” ist und in welcher Stadt die schlimmsten architektonischen Unfälle stehen.

n-tv.de: Sie beschäftigen sich schon seit vielen Jahren mit Bausünden. Wie ist Ihre Leidenschaft für architektonische Fehlgriffe entstanden?

Turit Fröbe: Es gab eine Ur-Bausünde. In Bielefeld stand ich vor einem Stromkasten, der mit mehreren Betonstehlen umgeben und als Kunstwerk inszeniert war. Da wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Im selben Moment fiel die Idee vom Himmel, einen “Abrisskalender” zu machen, also Bausünden zu sammeln. Von da an habe ich das Haus nicht mehr ohne Kamera verlassen.

Könnte man bei Bausünden nicht einfach sagen: hässlich, abreißen, weg?

Ja, genau. Auch ich habe vor 19 Jahren als Bausünden-Hasserin begonnen. Ich war damals noch so eine ganz bornierte Architekturhistorikerin, habe mir nur angesehen, was ausgewiesen gut war. Alles andere hat mich nicht interessiert. Dann bin ich die ersten Jahre mit dem Fahrrad durch die Gegend gekurvt und habe mich wie Rumpelstilzchen gefühlt und gedacht: Toll, jetzt räche ich mich an den ganzen Architekten und Häuslebauern. Aber ich habe schnell festgestellt, dass Bausünden eine wahnsinnig interessante und vollkommen zu Unrecht vernachlässigte Architekturgattung sind.

Hässlichkeit und Schönheit liegen ja bekanntlich im Auge des Betrachters. Aber gibt es verbindende Elemente, die allen Bausünden gemeinsam sind?

Es ist immer das Ausscheren. Wenn etwas in Material und Form aus der Reihe tanzt, dann fällt das auf. Das ist interessanterweise auch bei der Spektakelarchitektur, wie zum Beispiel der Elbphilharmonie, der Fall. Bei Bausünden geht man eigentlich davon aus, dass sie austauschbar sind und überall stehen könnten. Aber das ist nicht der Fall. Originelle, expressive Bausünden können nicht in der Nachbargemeinde stehen, sie sind an den Ort gebunden, weil es eine gewisse Haltung braucht, um so etwas hervorzubringen.

Wie entstehen Bausünden eigentlich, sind das Pannen oder sollen sie provozieren?

Ich habe festgestellt, dass ganz unterschiedliche Wege zur Bausünde führen. Viele Sachen waren ursprünglich mal gute Architektur, wie zum Beispiel der “Bierpinsel” in Berlin-Steglitz. Der war hochgelobt und ein ganz seltenes Beispiel für Pop-Art-Architektur. Aber der Architekturgeschmack ist launisch. Wir können nach 20 bis 25 Jahren nicht mehr ausstehen, was heute aktuell ist. Es gibt ganz wenig zeitlose Architektur.

Aber ist es mit den Bausünden nicht auch ein bisschen so wie mit hässlichen Hunden, die man einfach lieb haben muss?

Ja, wenn man anfängt, sie zu betrachten, eröffnet sich so ein ureigener Charme und eine Schönheit, die vorher nicht da war. Das Problem ist, dass wir Bausünden immer nur vom reflexhaften Wegsehen kennen. Wir gucken normalerweise nicht hin, aber genau das habe ich getan. Als mein erster Abrisskalender auf den Markt kam, habe ich gemerkt, dass ich die Gebäude gar nicht mehr abreißen möchte. Ich hatte sie irgendwie ins Herz geschlossen – bis auf eins.

Welches war das?

Ein penetrant langweiliger Bürobau der 70er-Jahre mit grünbraun-eloxierten Aluminiumplatten verkleidet und Jägerzaun davor.

Haben Sie eigentlich das Gefühl, dass sich die Menschen wieder stärker für Architektur interessieren?

Überhaupt nicht. Es wird zwar viel über Architektur berichtet, aber es geht immer nur um Spektakelarchitektur oder um Skandale und Pannen. Wir müssen als Gesellschaft wieder lernen, uns einzumischen und ein Gefühl dafür zu entwickeln, wie wir leben wollen, und uns nichts mehr von Investoren diktieren lassen. Ich kämpfe sehr dafür, dass die Baukultur ins Herz der Gesellschaft zurückkommt und dass die Leute lernen hinzusehen und ein Gefühl für die Alltagsarchitektur zu entwickeln.

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